
Die Deutsche Bahn AG (DB) realisiert ein jährliches Einkaufsvolumen von mehr als 20 Milliarden Euro mit weltweit knapp 20.000 Lieferanten. Nachhaltigkeit ist für die Beschaffung der DB ein wesentlicher Werttreiber und ein strategischer Wettbewerbsfaktor. Bis 2040 will die DB vollständig klimaneutral sein. Und deshalb tritt sie an, wertvolle Ressourcen zu schonen, indem sie das Ziel der Umsetzung einer vollständigen Kreislaufwirtschaft bis 2040 verfolgt. Sven Schmitt, Experte Nachhaltige Beschaffung der Deutschen Bahn, erläutert den Weg des Konzerneinkaufs der DB zu diesem Ziel.
Das Interview führte Thomas Heine
Das Ziel einer vollständigen Kreislaufwirtschaft bis 2040 ist sehr ambitioniert. Es bleiben nur noch 17 Jahre. Warum hat sich die DB dieses Ziel gesetzt?
Jedes Jahr verbrauchen wir aktuell ca. 1,7 Erden. Unser weltweiter Ressourcenbedarf übersteigt bei weitem unsere verfügbaren Kapazitäten und als die Natur im selben Zeitraum regenerieren kann. Die Deutsche Bahn AG bekennt sich mit der Konzernstrate- gie Starke Schiene zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Dazu gehört der Anspruch der DB, Verantwortung für den Planeten zu übernehmen. Die Grüne Transformation als Nachhaltigkeitsstrategie des DB-Konzerns legt mit dem Handlungsfeld Ressourcenschutz den Fokus auf die Kreislaufwirtschaft und ist die Grundlage, dies gesamthaft mit Maßnahmen bei der DB zu verankern. Als Europas größtes Eisenbahnunternehmen und größte Bauherrin Deutschlands in der Infrastruktur wollen wir mit unserem Ressourcenschutzziel einen wichtigen Impuls für eine auf Kreislauf ausgerichtete Wirtschaft setzen und den Lieferantenmarkt dorthin mitentwickeln. Dadurch unterstützen wir die deutschen und europäischen Nach- haltigkeitsziele und zahlen auf die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der Vereinten Nationen ein.
Zu Beginn eines Weges steht immer die Frage nach dem Wohin. Bei der Beantwortung der Frage hilft die Wesentlichkeitsanalyse. Sie hilft dabei, relevante Han- dlungsfelder zu bestimmen und Bewertungsmaßstäbe zu entwickeln. Was hat diese Analyse für den Einkauf der DB unter kreislaufwirtschaftlichen Gesichtspunkten ergeben?
Das Ziel und Wohin unseres Weges ist klar – die vollständige Kreislaufwirtschaft im Systemverbund Bahn sowohl im Input als auch im Output unserer Materialien. So gehen wir den Ressourcenschutz ganzheitlich an. Im Einkauf sollen unsere beschafften Produkte im Rahmen der an sie gestellten Gesamtanforderungen daher bestmöglich recyclingfähig sein. Das Augenmerk liegt vor allem auf Recyclingmaterialien und nachwachsenden Rohstoffen auf der Input-Seite des Einkaufs. Diese werden wir in der Beschaffung der DB signifikant erhöhen.
Wo fängt der Weg dann an? Wir haben dazu unsere Haupt- ressourcen analysiert und dabei drei wesentliche Handlungsfelder identifiziert: Schienenstahl, Gleisschotter und Betonschwellen machen rund 80 Prozent des gesamten Ressourcenverbrauchs der DB aus.
Wir alle wissen, dass Rom nicht an einem Tag erbaut wurde. Welche Meilensteine hat sich der Einkauf der DB gesetzt, um eine Erhöhung des Recyclinganteils bei den Haupttreibern zu erreichen?
Zur stetigen Erhöhung der Recyclinganteile auf der Input- Seite der beschafften Produkte haben wir uns verbindliche Ziele gesetzt. Der konkrete Hochlauf wird von den Stakeholdern nach den Gegebenheiten der jeweiligen Warengruppen z.B. technische Voraussetzungen, Verfügbarkeit am Markt etc. festgelegt. Beim Schienenstahl verdoppeln wir im Jahr 2030 den Re- cyclinganteil von 25% auf rund 45% gegenüber 2019. Der Gleis- schotter soll es im selben Zeitraum von 13,3% auf rund 40% hochgehen – wir planen den Anteil zu verdreifachen. Im 3. Handlungsfeld der Betonschwellen setzen wir uns das Ziel fünf Mal so viel Recyclingmaterial einzusetzen. Der Anteil wird also von 5,7% in 2019 auf etwa 30% in 2030 gesteigert. Dadurch sparen wir rund
300.000 Tonnen CO2 sowie rund zehn Millionen Tonnen Neumaterial ein. Auf der Output-Seite werden wir unsere Recyclingquote auf dem hohen Niveau von mindestens 95% halten.
Welche neuen Wege und Prozesse müssen dafür aufgebaut werden?
Eine nachhaltige und ressourcenschonende Beschaffung bedarf einer konsequenten Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskrite- rien in Vergaben und Ausschreibungen sowie Überprüfung und Anpassung von Prozessen und unserer eisenbahnspezifischen Regelwerke. Beispielsweise werden bei der Beschaffung neuer Schienenfahrzeuge Anforderungen für die ressourcenschonende Herstellung unter Einsatz von recycelten, recyclingfähigen und nachwachsenden Ressourcen in die Ausschreibungsbedingungen und Entwicklungsprozesse mit den Herstellern aufgenommen. Darüber hinaus verlängern wir die Lebensdauer unserer Fahr- zeugflotte.
Beschaffungsseitig setzen wir insbesondere auf den Aus- und Aufbau von strategischen Partnerschaften mit Herstellern und Lieferanten, um die Entwicklungen von recycelten und recycling- fähigen Produkten voranzutreiben.
Welche Rolle spielt das neue Produkt Design für die Kreislaufwirtschaft bei der DB? Gibt es Beispiele für Produktinnovationen, die sich aus dem konkreten Bedarf der DB entwickelt haben?
Beispiele für neue Produktinnovationen oder Initiativen sind die Second Life Batteriespeicher von encore oder die Vermarktungsplattform von erdpool für mineralische Rohstoffe unserer Großprojekte, beides Start-ups der DB. Erdpool hilft uns beispielsweise dabei, den Aushub des Infrastrukturausbaus in den Wirtschaftskreislauf zu geben. Ganz einfach und ressourcenschonend.
In einem neuen Programm #GreenTechforDB unserer DB mindbox unterstützt die DB Start-ups, die sich auf innovative Lösungen fokussieren. Vor allem die Bereiche nachhaltiges Bauen, Umweltschutz, Kreislaufwirtschat und Grüne IT sind dort gefragt.
Gibt es heute bereits Materialien am Markt, die den Erfordernissen des hohen Anteils von Recyclingquoten gerecht werden?
Hinsichtlich der Entwicklung am Markt ist zu verzeichnen, dass wir als Deutsche Bahn in den Haupteinflussgrößen, die von unser- er Infrastruktur dominiert werden, Teil einer Gesamtentwicklung am Markt sind. So ist nach dem Austausch mit unseren Lieferan- ten bspw. der Transformationsprozess in der Stahlindustrie nicht ohne den Zufluss hochwertiger Schrottanteile vorstellbar. Aber auch bei der Zirkularität von Natursteinprodukten, bei denen der Gleisschotter die für uns relevanteste Fraktion darstellt, sehen wir eine hohe Konformität bei den gemeinschaftlichen Interessen von Bauherrschaft und Industrie.
Nehmen die Lieferanten die neuen Herausforderungen gerne an, weil sie den Kunden DB nicht verlieren wollen?
Nach unserer Wahrnehmung stellt sich die Industrie insgesamt im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten den neuen Heraus- forderungen der Nachhaltigkeit. Dabei ist man oft dankbar, wenn wir als Partner versuchen die Transformationsprozesse mitzubegleiten. Wir nehmen weniger wahr, dass Transformationen in der Indus- trie maßgeblich durch unsere Kundenbeziehung getriggert werden. Beispiele einer Haltung „Ressourcenschutz ist für uns eigentlich nicht relevant, wir machen das ausschließlich für Euch“ wären mir nicht präsent. Dies mag aber auch daran liegen, dass ein sehr großer Lieferantenstamm aus Deutschland und dem europäischen Ausland kommt und dort ähnliche tatsächliche, gesellschaftliche und rechtliche Entwicklungen als Rahmenbedingungen gegeben sind.
Welchen Stellenwert besitzt das Monitoring der Maßnahmen für einen nachhaltigen Einkauf bei der DB und wie werden Lieferanten dabei einbezogen?
Ein Monitoring gehört bei gesetzten Zielen selbstverständlich zur Überwachung der eingeleiteten Maßnahmen dazu. Um die
Kreislaufwirtschaft der Deutschen Bahn mess- und steuerbar zu machen, erfolgt derzeit der Aufbau eines sogenannten Ressourceninventars sowie die Etablierung einer Stoffstrombilanz. Grundlage dieser Materialdatenerfassung sind Materialpässe, um einen Überblick über den gesamten Ressourceneinsatz zu gewinnen. Ende 2024 soll das System mit der Erfassung von Schienenstahl, Betonschwellen und Gleisschotter starten. Bis 2030 werden weitere für den Eisen- bahnbetrieb relevanten Produkte, Produktionsmittel und Anlagen sukzessive abgebildet. Mit unseren Lieferanten stehen wir im Rahmen der Lieferantenbeziehung im kontinuierlichen Austausch. Wir pilotieren erste Materialpässe mit herstellerspezifischen Mate- rialdaten, die wir bei den Lieferanten abfragen.
Es ist kaum zu glauben, aber die Recyclingquote der DB erreicht einen Spitzenwert von mindestens 95 Prozent bei Abfällen wie Bauabfälle, Elektronikschrott, Siedlungsabfälle, Papier und Altöl. Wie kann man diese hohe Quote erreichen und für die Zukunft auch erhalten und vielleicht auch ausbauen?
Unser Ziel ist es, die Recyclingquote für unsere gesamten Abfälle konstant bei über 95 % zu halten. Ein weiterer Ausbau wird, wenn überhaupt, nur schwer erreichbar sein, auch wenn uns dies selbstverständlich weiter am Herzen liegt. Insbesondere bei Bau und Instandhaltung unserer Schieneninfrastruktur und unseres Fahrzeugparks kommen wertvolle Ressourcen wie Metalle und mineralische Baustoffe zum Einsatz und es fallen im Rahmen der Geschäftstätigkeit Abfälle an, wie z.B. Altschotter und Altbeton.
Diese werden bereits heute überwiegend einem Recycling zugeführt. Aufgrund der dabei bewältigten großen Massenströme können wir in unseren Bemühungen gut wirksam werden. Umgedreht sind weitere Veränderungen, so positiv sie auch inhaltlich zu werten sind, nur in geringem Umfang quotenrelevant.
Von all diesen Maßnahmen des kreislaufwirtschaftlichen Einkaufs bekommt der Bahnreisende natürlich nichts mit. Um Akzeptanz und Verständnis bei ihnen zu generieren, müssen die Kunden mit ins Boot der Transformation genommen werden. Mit welchen Maßnahmen versucht die DB, dieses Ziel zu erreichen?
Leider haben Sie Recht, die genannten Maßnahmen zum Ressourcenschutz sind sicherlich nicht für alle Interessierten und Kunden greifbar. Ergänzt werden die Maßnahmen durch weit- ergehende Initiativen, zum Beispiel der Grünen Gastronomie, dem nachhaltigen Prämienkatalog (Vergrünung BahnBonus), nachhalti- gen Büromöbel, nachhaltigen Fahrzeugen, Green IT etc., bei denen wir mit entsprechender Kommunikation versuchen breitere oder andere Kreise kommunikativ zu erreichen.
Railsponsible ist eine Brancheninitiative, die sich auf die nachhaltige Beschaffung konzentriert, mit dem Ziel, die Nachhaltigkeitspraktiken in der gesamten Liefer- kette des Eisenbahnsektors kontinuierlich zu verbessern. Warum ist die DB Mitglied von Railsponsible?
Nachhaltigkeitsstandards flächendeckend zu etablieren, ist eine Mammutaufgabe. Und am besten gelingt die Umsetzung von Nachhaltigkeitsziele in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit finden wir. Der Dialog mit anderen wichtigen Unternehmen aus der Eisenbahnindustrie hilft uns Branchenstandards effizient zu entwickeln, damit diese nicht an der Realität vorbeigehen und vor allem unsere Lieferanten nicht überfordern. Gemeinsam mit der Schienenverkehrsbranche mit integrierten Branchenlösungen beim Thema Nachhaltigkeit, Klimaschutz und die Absicherung sozial- er Mindeststandards in den Lieferketten mehr erreichen, dass ist unsere Mission dort.